Was ein Schneesturm, ein Diplom-Mathematiker und eine Fotokamera gemeinsam haben
Wohl kaum ein Buzzword ist derzeit so sehr in aller Munde wie die digitale Transformation. Ohne disruptive Ideen und Out-of-the-box-thinking sei die journey zum digital champion nicht zu schaffen, hat sich wohl jeder Marketer schon einmal sagen lassen müssen. Alle singen dasselbe Lied, aber nur wenige verstehen den Text. Was bedeutet die Digitalisierung eigentlich in der Praxis? Ganz ohne Bullshit-Bingo. Unser Geschäftsführer Jörg Rewer gibt in einem Interview mit dem Redaktionsteam Antworten, wie Laudert den Weg vom klassischen Grafik-Betrieb zum digitalen Taktgeber gemeistert hat.
RED: Gestartet ist Laudert 1959 als Lithoanstalt mit der Erstellung von Druckvorlagen. Heute arbeiten über 480 Mitarbeiter bei einem der modernsten Medien- und IT-Dienstleister Europas. Wann hat Lauderts digitale Reise begonnen?
JR: Tatsächlich müssen wir manchmal schmunzeln, wenn vom „Trend-Thema“ Digitalisierung die Rede ist. Denn für uns ist die digitale Transformation alles andere als neu – auch wenn sie vor 30 Jahren wohl kaum jemand so genannt hat. Schon 1990 fiel bei Laudert der Startschuss in das Electronic Publishing. Scanner, Proofer und Rechner, die eher aussahen wie Raumschiffe, haben die Druckbranche revolutioniert. Übrigens hat unser erster Mac 70.643 DM gekostet. Unfassbar, wenn man bedenkt, wie viel Power heute in den Maschinen steckt, die nicht größer sind als ein Schuhkarton. Jetzt erstellen wir ganze Kataloge in sog. Database-Publishing-Prozessen einfach mit einem einzigen Knopfdruck. Schlüssel zum Erfolg ist die IT, die das Layout-Programm und eine Datenquelle, in der alle Produktinformationen verwaltet werden, miteinander verbindet.
RED: Aber nicht nur die Medienproduktion verändert sich. Laudert hat sich mit den zusätzlichen Geschäftseinheiten Fotostudios, Medien-IT und Digitaldruck immer weiter diversifiziert. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
JR: Eine Mischung aus Marktgespür, Mut und Willensstärke. Oft werden Entscheidungen bei Laudert mit einer gesunden Portion Pragmatismus gefällt. Zum Beispiel legte Unternehmensgründer Karl-Heinz Laudert den Grundstein für unsere heute 80-köpfige IT-Abteilung im Jahr 1995 mit dem Satz: „Ich weiß nicht wofür, aber wir brauchen so jemanden“ und stellte prompt einen Diplom-Mathematiker ein. Auch die erste Digitalkamera erstanden wir im selben Jahr nicht mit der Intention, Fotografie-Leistungen anzubieten, sondern einzig und allein, um sich mit der Verarbeitung dieser Daten auseinanderzusetzen. Und was ist daraus geworden? Heute zählen unsere Laudert-Studios zu den größten Fotostudios für Produktfotografie in Europa.
RED: Das klingt nach einer enormen Menge an Daten und viel Koordinationsaufwand. Ist das ein Hindernis für die Digitalisierung?
JR: Ganz im Gegenteil: Das ist unser größter Treiber. Ohne digitale Prozesse, intelligente Automatisierungen und Workflows könnten wir die großen Auftragsvolumen gar nicht bewältigen. In unseren Studios entstehen täglich über 3.000 Aufnahmen. Kein Wunder, dass unsere IT-Spezialisten gefragt sind, um der Datenflut Herr zu werden. Ergebnis ist unsere Software-Eigenentwicklung LaudertContentFlow®, mit der wir unsere gesamte Fotoproduktion digital steuern. Trifft z. B. ein Kleid in einem unserer drei Studios ein, wird es per Barcode im System erfasst und bis zur Auslieferung des fertigen Fotos nicht mehr aus den Augen gelassen. Wir wissen jederzeit, ob der Artikel gerade gebügelt, fotografiert, bildbearbeitet, zwischengelagert oder zum Rückversand vorbereitet wird. Ebenso durchlaufen die erstellten Aufnahmen vordefinierte Prozessketten und Freigabeschritte, sodass die perfekt aufbereiteten Fotos innerhalb von nur 48 bis 72 Stunden im Webshop unserer Kunden sind. Wenn wir das in den 90ern schon geahnt hätten, als wir eine Übertragungszeit von 3 Stunden für 10 MB schon als Durchbruch empfanden… (lacht)
RED: Das bedeutet, dass die technische Infrastruktur sowie die richtige Hard- und Software unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche digitale Transformation sind?
JR: Definitiv – das hat uns spätestens der Schneesturm im Münsterland 2005 schmerzlich gezeigt. Redundante Leitungen, extrem gute Backbone-Anbindungen, Notstrom-Aggregate und die Verbindung unserer Standorte mit einem 1-GBit-Ring sorgen heute nicht nur für schnelle Datenübertragungen, sondern auch für Sicherheit und Unabhängigkeit. Jedes Unternehmen muss sich bewusst sein, dass auch die besten Prozesse nur funktionieren, wenn eine entsprechende technische Basis existiert.
RED: Die IT ist also wichtig – aber wie kriegt man die Mitarbeiter an Bord?
JR: Genau das ist die entscheidende Frage und bei vielen Unternehmen gibt es dahingehend verschiedene Ansätze: Die Ernennung eines Chief Digital Officers, die Gründung eigener Start-Ups mit dem Ziel, ungestört neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, oder agiles Projektmanagement. Aber letztendlich haben alle Maßnahmen dasselbe Ziel: Die Mitarbeiter mitzunehmen auf die digitale Reise. Bei Laudert haben wir dazu einen ganz einfachen Ansatz: Digitalisierung ist Team-Sache! Angefangen beim Azubi, der in unserer eigenen Akademie vom ersten Tag an digitale Luft schnuppert, bis hin zum Retusche-Experten in Bangkok oder Techi in Vietnam, der über eigenentwickelte Datenlogistik-Software im selben System arbeitet wie seine deutschen Kollegen. By the way haben wir durch das Offshoring auch gelernt, wie Cloud-Computing mit großem Datenaufkommen funktioniert. Wir produzieren heute arbeitsteilig rund um den Globus und schaffen es, durch perfekte Vernetzung und Kommunikation, alle Mitarbeiter an einen Tisch zu bringen – auch wenn dieser manchmal nur virtuell ist.
RED: Und wie sehen konkrete Mittel dazu aus?
JR: Bewährt hat sich die Bildung von Taskforces, in denen sich Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen zu bestimmten Themen austauschen und gemeinsam Prozessoptimierungen diskutieren.
So treffen sich beispielsweise Medienproduktioner mit Workflow-Spezialisten zur Entwicklung von Ansätzen, die die Druckdatenauslieferungen weiter automatisieren. Auch sog. Stakeholderrunden sind ein wichtiges Element zur Einbindung unserer Mitarbeiter – insbesondere zur Weiterentwicklung unserer eigenen Software-Lösungen. Alle drei Wochen treffen sich Product-Owner der jeweiligen Software mit Anwendern und besprechen die nächsten Entwicklungsschritte. Damit stellen wir sicher, dass wir nicht im luftleeren Raum entwickeln, sondern immer mit Blick auf die User-Bedürfnisse. Wir sind sehr stolz, dass wir immer wieder das Feedback erhalten, dass sich unsere Software-Produkte durch herausragende Benutzerfreundlichkeit und intuitive Bedienbarkeit auszeichnen.
RED: Jetzt bleibt noch die Frage, wie der digitale Weg weitergeht. Mit welchen Themen beschäftigt sich Laudert im Moment?
JR: Zurzeit widmen wir uns vor allem drei großen Bereichen: Computer Generated Imagery (kurz CGI), intelligente Produkttexte und die Verbindung von Effizienz und Kreation. CGI – das sind am Computer erzeugte fotorealistische Darstellungen, die uns ganz neue Wege in der Produkt- und Markenkommunikation eröffnen. Wir experimentieren sowohl in Sachen Prototypenentwicklung als auch damit, wie sich virtuelle Hintergründe und Modelbilder aus dem Studio verschmelzen lassen. Momentan sind solche Visualisierungen noch relativ teuer, versprechen aber einen enormen Zuwachs an Flexibilität, wenn Models nicht mehr selbst nach Südafrika reisen müssen oder Muster nicht um die ganze Welt geschickt werden. Auch bei der Texterstellung ist die Digitalisierung entscheidend. Denn nur mit der Erfassung am PC ist es nicht getan. Stattdessen kommt es darauf an, mit geschicktem Übersetzungsmanagement und Datenbankunterstützung effiziente Workflows zu schaffen. Die dritte brennende Fragestellung beschäftigt sich damit, wie sich Automatisierungen mit Kreativ-Dienstleistungen kombinieren lassen. Die Anforderungen beim Onlineshopping steigen. Konsumenten haben über das Internet Zugang zu so vielen Anbietern wie noch nie, weshalb Marken eine einzigartige Customer Experience schaffen müssen. Die Kundenansprache wird folglich immer individueller, während die Masse an Produkten und somit auch an Content explodiert. Unternehmen sind daher auf der Suche nach Dienstleistern, die beides können: Effizienz und Kreation. Laudert hat 2017 die Kreativ-Unit LOFT ins Leben gerufen, mit der wir unser Portfolio weiter ausweiten. Auch das macht Digitalisierung aus: Zu wissen, wo Prozesse und wo Ideen und Fantasie im Vordergrund stehen, und beide Komponenten passgenau zu verbinden.
RED: Vielen Dank für das Interview!